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 Foto © Los Muertos Crew/pexels 

Ohne Handarbeiten wird’s nichts mit den 3Rs der EU

10. Februar 2025

Reparieren, Weiternutzen und Wiederverwenden sind keine Geistesblitze der Europäischen Kommission und des Green Deals. Die Prinzipien sind lediglich in Vergessenheit geraten. Zu Schulzeiten der Babyboomer standen sie noch auf dem Lehrplan!

Vor ein paar Wochen kam ein Freund vorbei und hatte eine Hose im Gepäck. Zwei Knöpfe waren abgerissen. Ob das Malheur seinem vorweihnachtlichen Süßwarenkonsum geschuldet war, entzieht sich meiner Kenntnis. Jedenfalls fehlten beide Knöpfe an entscheidender Stelle. Er sah sich allerdings außerstande, den Schaden selbst zu reparieren. Da er die Hose aber nicht wegwerfen wollte, entsann er sich meiner Fähigkeiten, einen Knopf anzunähen. Das Rüstzeug dazu wurde seinerzeit noch in der Schule vermittelt: Für die Jahrgänge der Babyboomer stand das Fach Handarbeiten auf dem Stundenplan. Doch obwohl ich mich während dieser Unterrichtsstunden ständig in die Finger stach und auf dem Zeugnis nicht über die Note 4 hinauskam, bin ich heute für das Rüstzeug dankbar, das mir die verzweifelte Lehrerin mit auf den Weg gab. Abgerissene Knöpfe? Werden wieder angenäht. Löcher in Wollpullovern oder Wandersocken? Werden gestopft. Aufgeplatzte Nähte? Werden von Hand oder mit der Nähmaschine wieder zusammengenäht. Und selbst durch regelmäßiges Pullover-Tragen fadenscheinig gewordene Ellenbogen halten durch Aufbringen von Patches mindestens noch die kommende Saison durch.

Flicken, auslassen, aufribbeln für längere Nutzung

Wenn man noch einen weiteren Schritt in Richtung Vergangenheit geht, bekommen die 3Rs aus dem Green Deal – Repair, Reuse, Recycle – eine ganz andere Dimension. Kleider-Reparaturen und Kunststopfen waren in den Nachkriegsjahren und der beginnenden Wirtschaftswunderzeit noch gängige Praxis, um Gebrauchsspuren unsichtbar zu machen. Das Flicken hielt sich sogar bis in die 1970er Jahre, wo Patches mit Symbolkraft – darunter das Peace-Symbol oder der berühmte Kussmund der Rolling Stones – auch gleich noch zum provokativen Statement taugte. Auch für die Weiterverwendung gab es diverse Möglichkeiten. Zu kurz gewordene Jeans wurden kurzerhand mit Bordüren oder ausgelassenem Saum wieder auf Länge gebracht. Zu jener Zeit war auch das Recycling in Mode – allerdings hieß es anders, nämlich Wiederbenutzung. So wurden beispielsweise Pullover aufgeribbelt und das gewonnene Wollgarn zu Topflappen, einem Schal, Socken oder anderem verstrickt. Nachdem Bekleidung aber immer günstiger wurde, war Schluss mit Retorten-Garn und der „Nachnutzung“ von Strickwaren.

Vintage läuft – auch im Garn

Inzwischen sind Jahrzehnte vergangen, das Schulfach Handarbeiten steht schon lange nicht mehr auf dem Lehrplan und Mode ist zum Wegwerfartikel geworden. Immerhin gibt es Änderungsschneidereien, die Hosen verlängern oder kürzen, Reißverschlüsse austauschen und wahrscheinlich sogar Knöpfe annähen. Ob deren Zahl jedoch ausreicht, die Forderungen der Europäischen Kommission nach einer längeren Kleidungsnutzung umzusetzen, steht auf einem anderen Blatt. Allerdings gibt es eine Tendenz, die alten Praktiken wieder aus der Klamottenkiste zu holen. So setzen findige Designer ausgediente Bekleidung neu zusammen oder verpassen ihr mit Patches ein höchst individuelles Styling (Wie rund läuft der textile Kreislauf – Probleme und Lösungen). Das Vintage-Prinzip erobert inzwischen aber auch die Handarbeit! Strickgarne sind bereits in den klangvollen Sorten „reclaimed“, „reborn“ oder „reused“ am Markt. Das hört sich vielversprechend an. Was sich allerdings wirklich hinter den gefälligen Wortkreationen verbirgt, ist mitunter enttäuschend: Restposten, nicht abverkaufte Sonderproduktionen oder Garne mit einem geringen Anteil an recycelten Fasern. Um Enttäuschungen zu vermeiden, lohnt sich daher ein Blick in die Produktbeschreibung!

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